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In Postkolonialität und soziologische Theorie führen Manuela Boatcă, Julian Go und Tobias Werron in die Thematik des Schwerpunktes ein und skizzieren die Konturen eines Forschungsprogramms, das der unreflektierten Übernahme imperialer Schemata in der Sozialtheorie nachspürt und Perspektiven für konzeptuelle Reformen eröffnet. Der imperiale Standpunkt der Soziologie und das antikoloniale Denken stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Julian Go, der zeigt, wie sich eine historisch reflektierte Version der Standpunkttheorie für das postkoloniale Denken nutzen lässt und anhand ausgewählter Autor:innen und Texte die Relevanz antikolonialer Theorieentwürfe diskutiert. Go rekonstruiert dazu andere Vorstellungen von Gesellschaft. Koloniale Kategorien klassischer Soziologie thematisiert anschließend Manuela Boatcă. Anhand der Theorien von Karl Marx und Max Weber zeigt sie, wie deren Konzepte sozialer Ungleichheit von unbewussten Annahmen über Kolonialismus, Fortschritt und Entwicklung geprägt wurden und plädiert für eine Neubewertung kanonischer Ansätze im Lichte postkolonialer Kritik. Unter dem Titel Postkoloniale Kritik übersetzen rekonstruiert sodann Encarnación Gutiérrez Rodríguez die Rezeptionsgeschichte postkolonialer Ansätze in der aktivistischen Migranten- und Flüchtlingsforschung in Deutschland. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den spezifischen Formen des Wissens und der Kritik, welche die kritische Außenseiterperspektive auf die etablierten Normen und Praktiken der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht. Von Inklusion zu Dekolonisierung führt der Weg, den Ricarda Hammer in ihrem Beitrag absteckt. In Auseinandersetzung mit Jeffrey Alexanders Konzept der civil sphere erörtert sie, warum normativ aufgeladene Theorien der Zivilgesellschaft neben inkludierenden auch exkludierende Effekte zeitigen und begrifflich neu gefasst werden müssen, um zu verhindern, dass sich die bei ihrer Entstehung wirksamen kolonialen Einflüsse weiter fortschreiben. Abgerundet wird der Themenschwerpunkt durch Ein Gespräch mit Raewyn W. Connell, die mit ihrem 2007 erschienenen Buch Southern Theory einen der bis heute einflussreichsten Entwürfe für eine postkoloniale Soziologie vorgelegt hat. Im Austausch mit Manuela Boatcă, Julian Go und Tobias Werron gibt die australische Soziologin ausführlich Auskunft über ihren Ansatz, ihre intellektuelle Entwicklung und die Motive ihrer Arbeit: »Verändern wollte ich die Soziologie auf jeden Fall«.
Zum Ortstermin treffen wir Igor Biberman, der uns Im Stalin-Museum in der georgischen Kleinstadt Gori erwartet und uns beim Gang durch die Räumlichkeiten nicht nur die Geschichte des Museums und der ausgestellten Exponate näherbringt, sondern auch erklärt, warum der sowjetische Diktator in seiner Heimat bis heute Kultstatus genießt.
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